Bäume. Zeichnen um zu sehen
Zur Ausstellung So gesehen
14. März 2009 bis 19. April 2009, IG Halle im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil
IG Halle überrascht Kunstszene und Kunst(Zeug)Haus mit Felix Studinka. Bäume zeichnen kann zum Abbild werden oder wie in den stupenden, im Kunst(Zeug)haus Rapperswil gezeigten Zeichnungen gerade nur ein Herantasten an ein persönliches Gegenüber. Die IG Halle macht Werke des Zürcher Künstlers Felix Studinka in der Schweiz erstmals bekannt. Auf Wörter wie Stuhl oder Baum reagieren wir meist so, wie wenn wir ein Fliessband im Kopf hätten. Doch schon rasch setzen Anschauung und sinnliche Erfahrung wie im Gesang ganz eigene „Koloraturen“. Der 1965 in Zürich geborene Zeichner und Kunstwissenschaftler Felix Studinka sagt es so: „Mein Blick schreibt die Welt vom eigenen Körper aus“. Über Baumstudien thematisiert er die Breite und Weite von Wahrnehmung, rückt aber auch das räumlich messbare Gegenüber des Baumes in unser Bewusstsein. Diese eng- und weitmaschigen Verästelungen in den Zeichnungen und Acrylwerken spiegeln auch die innere Aktivität während der Wahrnehmung, die Intuitionen und die suchende Annäherung an den Baum. Felix Studinka ist als Zeichner Autodidakt. Sein Studium an der Universität Zürich hat er 1994 mit einem „Versuch über die gemeinsame Sehkultur von Giorgio Morandi und Roberto Longhi“ abgeschlossen. Bekannt ist der viel gereiste Felix Studinka als früherer Kurator der Plakatsammlung am Museum für Gestaltung Zürich 1997 bis 2006. Ab kommendem Herbst ist er Gast eines Werksemesters der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr in London. Sein zeichnerisches Schaffen, im vergangenen Jahr in Frankreich erstmals öffentlich bekannt gemacht, ist rundum eine Überraschung, ein Entdecken auch von Bäumen und von Baum-Sehen. Im Baum wird Raum berührbar Eindrücke suchen Halt. Bäume sind das zentrale und konzentrierte Thema der Ausstellung – aber nur vordergründig. Denn weil ihre Komplexität sich mit dem Verstand nicht bezwingen lässt, geben Bäume Anlass, unerwartete Nuancen der Wahrnehmung zu entdecken. Ihnen begegnet der Zeichner in der Stadt, in der Landschaft, zuhause in der Schweiz, in Frankreich, in Italien, in der Welt. Im eigenen Wohnquartier in Zürich, in der Parkanlage Beckenhof, betrachtet Felix Studinka eine hoch gewachsene Buche und notiert: „Die Krone explodiert und ein Funkenregen breitet sich aus. Ich versuche, sie anzusehen, ohne sie zu fixieren. Das Innere dehnt sich aus, die Funken werden dichter an den äusseren Rändern und bilden eine Korona.“ Ausgewählte Bäume werden über Jahre kontinuierlich aufgesucht, andere wechseln über Wege, Reisen und Blickpunkte, halten in der Wahrnehmung des Künstlers an als Masse, Bewegung, Verdoppelung, Spiegelung und gar als berührbare, oft nur fliegende Räumlichkeit. Diese Flüchtigkeit, dieses Auftauchen und Verschwinden, die steten Richtungswechsel, Gitter und Knäuelungen hat der Künstler mit Kohle, Tusche, Bleistift und Acryl in organischen Strukturen auf Papier gebracht. Die Annäherungen suchen nach dem Greifbaren und erreichen in dieser künstlerischen Arbeit ganz eigene und faszinierende Auswege: „Dem Baum in die Haare greifen. Er hat keinen Stamm und keine Umrisse.“ Felix Studinka gelingt eine Tiefenschärfe, die das Verlangen, sich im Freien mit dem grossen Gegenüber auseinanderzusetzen, nicht nur für ihn selbst zum Glücksgefühl steigert, sondern ebenso auch für uns Betrachter. Auch die Worte seiner Notizen schaffen wie seine Kalligrafien von Bäumen Fortsetzung in haarscharfer und zugleich instabiler Transparenz: „Ich folge den Richtungen in der Kastanie. In den besten Momenten habe ich den sehr klaren Eindruck, an zwei oder drei Orten im Raum gleichzeitig zu sein. Lautlose Explosionen im Kopf.“
Peter Röllin / Leiter IG Halle